Die Geschichten der jüdischer Familien in den Fokus rücken und an sie erinnern – das ist das Ziel des Projektes „Stolpersteine NRW“ des WDR an dem sich der VHS-Arbeitskreis Ahauser Geschichte 1933-1945 gemeinsam mit Stadtarchivar Max Pfeiffer beteiligt. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar beginnt die Reihe mit der Ahauser Familie Schlösser. In den kommenden Wochen werden dann weitere jüdische Ahauserinnen und Ahauser näher vorgestellt.
Die Familien von Rudolf und Felix Schlösser (geb. 27. Januar 1885 und 29. Januar 1883) wohnten an der Querstraße 5 (heute Wessumer Straße) und Hochstraße 3 (heute Wallstraße). Beide waren – wie die meisten Ahauser Juden – Viehhändler, Felix hatte auch noch eine Metzgerei. Rudolf und Felix Schlösser hatten sieben Geschwister, die zwischen 1879 und 1893 geboren wurden. Alle starben keines natürlichen Todes: Während vier Brüder im 1. Weltkrieg für „Kaiser, Volk und Vaterland“ ihr Leben ließen (so viele wie in keiner anderen Ahauser Familie), wurden außer Rudolf und Felix noch drei weitere Geschwister im Holocaust ermordet. Felix und seine Frau Erna, geb. Davids, wurden am 10.12.1941 mit ihren sechs und zehn Jahre alten Kindern Bernhard Josef und Leo über Münster ins Ghetto nach Riga deportiert. Im Deportationszug saßen auch Felix' Bruder Dr. Max Schlösser, der nach der Zwangsschließung seiner Arztpraxis in Witten zurück nach Ahaus gezogen war, und dessen Frau Emma. Alle kamen 1942/43 in Riga bei Massenerschießungen, durch Hunger oder Krankheiten ums Leben. Erna Schlösser überlebte noch die Evakuierung der letzten Ghetto-Insassen ins KZ Stutthof (bei Danzig), wurde dort aber im November 1944 – wahrscheinlich in der Gaskammer – ermordet. Auch der kriegsinvalide Rudolf Schlösser, den SA-Leute in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 schwer misshandelt hatten, wurde mit seiner Frau Emmy, geb. Pollack, und dem 12-jährigen Sohn Max-Siegfried, genannt Friedel, nach Riga deportiert, wo sie alle 1943 ermordet wurden. Ihren Sohn Alfred hatten sie nach dem Pogrom Ende 1938 nach Delden/NL zu seiner Tante Karoline Groenhijm geschickt. Nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen wurden der 17-ährige und Tante im Mai 1943 vom holländischen Lager Westerbork aus ins Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort sofort ins Gas geschickt. Die einzige Überlebende der vielköpfigen Ahauser Schlösser-Familien war Rudolfs und Emmys älteste Tochter Thea, die Schülerin der „Höheren Töchterschule“ im Canisiusstift war (siehe Foto). Ihre Eltern sorgten dafür, dass sie im Sommer 1939, als sie 15 Jahre alt war, in einem vom NS-Staat zugelassenen Kindertransport per Bahn und Schiff nach England kam, wo sie in einem Heim bzw. in einer Familie untergebracht wurde. Als sie nach dem Krieg erfuhr, dass all ihre Verwandten ermordet worden waren, zog sie in die USA, heiratete dort und hatte Kinder. Schülerinnen der Anne-Frank-Realschule Ahaus und ihr Lehrer suchten und fanden im Jahre 2005 Kontakt zu der in einem Altenheim in Stockton/Kalifornien lebenden Thea Lakey, geb. Schlösser, die aber über sich und das Schicksal der Familie nicht mehr sprechen wollte. Über zehn Jahre lang bekam sie noch Geburtstagsglückwünsche aus Ahaus, worauf sie sich in ihren Antwortbriefen jedes Mal für das Erinnern an ihre Familie (durch Dokumentationen, Stolpersteingänge etc.) bedankte. Seit ein paar Jahren gibt es keine Rückmeldungen mehr von ihr. Sollte Thea noch leben, wäre sie 97 Jahre alt. In Ahaus liegen für sie und ihre Familie 14 Stolpersteine.